Festlegen des Krankheitsstadiums

Um das individuelle Krankheitsstadium eines Betroffenen festzulegen, erfolgt eine Stadieneinteilung der CLL entweder nach den Kriterien der Binet- oder der Rai-Klassifikation. Beide Klassifikationssysteme berücksichtigen die Lymphozytenzahl im Blut, die Anzahl betroffener Lymphknotenregionen, eine etwaige Milz- oder Lebervergrößerung sowie eine eventuell vorliegende Anämie oder Verminderung der Blutplättchen (Thrombopenie). Wenn keine Anämie oder Thrombopenie besteht und nur die Lymphknoten, Milz oder Leber vergrößert sind, spricht man von einem Binet-Stadium A oder B bzw. Rai-Stadium I oder II. Ein Binet-Stadium C bzw. Rai-Stadium III oder IV liegt immer dann vor, wenn eine Anämie (Hämoglobinkonzentration erniedrigt) oder eine Thrombopenie (Blutplättchenanzahl erniedrigt) besteht (siehe Tabelle 1 und 2).

TABELLE 1 & 2 Stadieneinteilung CLL                                                                                     

StadiumAnzahl befallener
            lymphatischer Regionen
            
            (Hals, Achsel, Leiste, Milz, Leber)
HämoglobinThrombozyten
A< 3 Regionen befallen≥ 10 g/dl≥ 100 × 103/μl
B≥ 3 Regionen befallen≥ 10 g/dl≥ 100 × 103/μl
Cirrelevant< 10 g/dl oder < 100 × 103/μl
StadiumLymph-
adenopathie
Hepatomegalie
oder
Splenomegalie
HämoglobinThrombozyten
0neinnein≥ 11 g/dl≥ 100 × 103/μl
Ijanein≥ 11 g/dl≥ 100 × 103/μl
IIirrelevantja≥ 11 g/dl≥ 100 × 103/μl
IIIirrelevantirrelevant< 11 g/dl≥ 100 × 103/μl
IVirrelevantirrelevantirrelevant< 100 × 103/μl

Risikofaktoren

In den letzten Jahren haben Wissenschaftler eine Reihe von Risikofaktoren ermittelt, die hilfreich sind, um die Prognose individueller Patienten insbesondere in einem frühen Stadium der CLL (Binet-Stadium A, Rai-Stadium I und II) feiner zu beurteilen. Diese Risikofaktoren, die teilweise auch im CLL-IPI abgebildet sind, werden anhand spezieller Blutuntersuchungen bestimmt (insbesondere Immunphänotypisierung, Fluoreszenz-In-Situ-Hybridisierung, Polymerase-Kettenreaktion) und erlauben die Identifizierung von Patienten, bei denen trotz Vorliegens eines frühen Stadiums ein rascheres Fortschreiten der CLL wahrscheinlich ist. Ein ungünstiger Krankheitsverlauf ist zu erwarten, wenn

  • eine chromosomale  17p-Deletion vorliegt
  • eine Mutation des TP53-Tumorsuppressorgens vorliegt
  • die IGHV-Genregion keine somatischen Hypermutationen aufweist (IGHV unmutiert)
  • die Verdopplungszeit der Lymphozyten unter 12 Monaten liegt
  • die Thymidinkinase im Blutserum erhöht ist
  • das β2-Mikroglobulin im Blutserum erhöht ist
  • die Leukämiezellen eine erhöhte ZAP70-Expression zeigen
  • die Leukämiezellen eine erhöhte CD38-Expression zeigen
  • andere bisher nicht in der Routineversorgung etablierte Marker (z.B. Mutationen in den Genen NOTCH1 und SF3B1) positiv sind.

Ob bei einem ungünstigen Risikoprofil eine frühzeitige Therapie auch bereits im frühen Krankheitsstadium vorteilhaft ist, wird gegenwärtig in klinischen Studien untersucht. Die sorgfältige Beobachtung des Patienten bis zum tatsächlichen Fortschreiten der Erkrankung (watch & wait) ist jedoch derzeit das Vorgehen der Wahl außerhalb von Studien.

&nbs

17p-Deletion und TP53-Mutation

Eine besondere Situation ist der Verlust eines bestimmten Genabschnittes, die so genannte 17p-Deletion, durch die das Tumorsuppressorgen TP53 in CLL-Zellen fehlt. Manchmal kann auch das TP53-Gen selbst defekt sein, ohne dass der gesamte 17p-Genabschnitt fehlt (TP53-Mutation). Der vomTP53-Gen kodierte Tumorsuppressor p53 wirkt normalerweise hemmend auf die Zellteilung. Fällt er aus, so führt dies in der Regel zu einem raschen Fortschreiten der CLL bzw. zu einem oft nur kurzzeitig anhaltenden Ansprechen auf die Standardbehandlung. Wenn diese genetische Abweichung vorliegt und CLL-Patienten aufgrund ihrer Beschwerden und/oder ihres fortgeschrittenen Stadiums behandelt werden müssen, ist es gerechtfertigt, frühzeitig ein von der Standardtherapie abweichendes Behandlungsvorgehen zu wählen; so stellt eine Chemoimmuntherapie für diese Patienten keine sinnvolle Behandlungsoption dar.  Neue Therapieverfahren für Patienten mit einer 17p-Deletion oder TP53-Mutation werden laufend in klinischen Studien untersucht.

Einschätzung der Komplikationsgefahr

Bei der Erstdiagnose einer CLL und vor Beginn einer Behandlung werden alle Begleiterkrankungen (z.B. Bluthochdruck, Diabetes mellitus) sorgfältig erfasst und verschiedene Blutwerte (Elektrolyte, Kreatinin, Harnstoff, Harnsäure, Bilirubin, Transaminasen) bestimmt. Dies dient dazu, mit der Krankheit verknüpfte Komplikationen zu erkennen und die körperliche Fitness des Patienten richtig einzuschätzen. Zur Erfassung eines Antikörpermangels werden die Immunglobuline im Blut gemessen. Mittels des Coombs-Test sollen Antikörper gegen rote Blutkörperchen erkannt werden, die unter Umständen und begünstigt durch die Therapie eine Autoimmunhämolyse (Auflösung der roten Blutkörperchen) auslösen können. Weitere Bluttests dienen dazu, eine aktive oder durchgemachte Infektion mit Hepatitisviren oder dem Human Immune Deficiency Virus (HIV) auszuschließen.