Therapie
Wann ist eine Therapie erforderlich?
Eine Behandlung der CLL ist nur dann ratsam, wenn ein fortgeschrittenes Krankheitsstadium vorliegt oder wenn ein frühes Krankheitsstadium vorliegt und der Patient gleichzeitig über krankheitsbedingte Beschwerden (z.B. B-Symptome) klagt.
Patienten in frühen Krankheitsstadien (Binet-Stadium A oder B, Rai-Stadium I oder II) und ohne krankheitsbedingte Beschwerden, sollen nicht therapiert werden. Bei ihnen ist eine Therapie auch bei Vorliegen von Risikofaktoren allenfalls innerhalb sorgfältig geplanter Studien gerechtfertigt. Werden Patienten zunächst nicht behandelt, so muss ihre Erkrankung dennoch durch regelmäßige Untersuchungen überwacht werden. Dieses Vorgehen wird auch als "watch & wait" - also "Beobachten & Abwarten" - bezeichnet.
Wenn ein Patient bereits einmal wegen einer CLL behandelt wurde und es dann zu einem Rezidiv der Erkrankung kommt, muss er erneut therapiert werden.
Was für eine Therapie wird durchgeführt?
Die chirurgische Operation und die Strahlentherapie haben bei der Behandlung der CLL keinen nennenswerten Stellenwert. Die Therapie der CLL erfolgt immer medikamentös, z.B. durch eine Chemotherapie in Kombination mit monoklonalen Antikörpern (Chemoimmuntherapie) oder mit neuen, zielgerichteten Substanzen, bei denen es sich weder um Chemotherapeutika noch um Antikörper handelt. Im Gegensatz zu Chemotherapie und Antikörpern werden diese nicht als Infusion sondern in Tablettenform verabreicht.
Die Auswahl des Behandlungsschemas hängt sowohl bei der Erstlinien-Therapie (erstmalige Behandlung, "erste Linie") als auch bei der Zweitlinien-Therapie (nachfolgende Behandlung mit einer anderen Wirkstoffkombination, "zweite Linie") von der individuellen körperlichen Verfassung des Patienten und darüber hinaus von den individuellen Merkmalen der CLL ab.
Therapiestrategien für Patienten ohne Veränderungen des TP53-Gens, die körperlich fit sind
Junge Patienten aber auch ältere Patienten, die keine zusätzlichen Begleiterkrankungen haben und deren Organe ohne Einschränkungen funktionieren, sollen intensiv mit einer Chemoimmuntherapie behandelt werden. Die Therapie zielt darauf ab, die krankheitsfreie Zeit nach dem Ende der Behandlung zu maximieren und die Überlebenszeit zu verlängern. Mit der intensiven Chemoimmuntherapie ist ein höheres Nebenwirkungsrisiko während der Behandlung verbunden, das bei guter biologischer Fitness jedoch kalkuliert und in Kauf genommen werden kann. Außerhalb von Studien wird dabei für Patienten ≤65 Jahre der Wirkstoff Fludarabin in Kombination mit Cyclophosphamid und dem monoklonalen Antikörper Rituximab (FCR-Schema) verabreicht. Durch dieses Therapieschema kann die CLL bei über 90 Prozent der Patienten zurückgedrängt werden. Für Patienten über 65 Jahre wird die Kombination aus dem Chemotherapeutikum Bendamustin und Rituximab (BR-Schema) empfohlen, das sich in Studien als weniger nebenwirkungsreich, aber auch nicht ganz so wirksam dargestellt hat wie das FCR-Schema.
Therapiestrategien für Patienten mit Veränderungen des TP53-Gens (Hochrisiko-CLL)
Patienten, bei denen durch Funktionsverlust des p53-Tumorsuppressors von einem besonders raschen und aggressiven Fortschreiten der CLL ausgegangen werden kann, profitieren oft nur kurzfristig von einer der oben genannten Therapien. Diese Patienten sollten idealerweise im Rahmen von klinischen Studien behandelt werden oder außerhalb von Studien als Erstlinientherapie eine Tablettenbehandlung mit dem sogenannten Kinasehemmer Ibrutinib erhalten, der die Signalkaskade des B-Zell-Rezeptors blockiert. Falls eine Therapie mit Ibrutinib – z.B. aufgrund von Begleiterkrankungen – für einzelne Patienten nicht in Frage kommt, kann eine Kombination aus dem Kinasehemmer Idelalisib und Rituximab verabreicht werden. Kommt keine dieser beiden Optionen in Frage, ist für diese Patienten auch eine Erstlinientherapie mit Venetoclax zugelassen.
Darüber hinaus solltezumindest nach Versagen der Erstlinientherapie die Durchführung einer allogenen Blutstammzell-Transplantation (Übertragung von Blutstammzellen eines Familien- oder Fremdspenders) in Erwägung gezogen werden.
Therapiestrategien für Patienten mit vorbehandelter CLL (Rezidiv-Therapie)
Patienten, deren CLL bereits mittels intensiver Chemoimmuntherapie behandelt wurde und deren Krankheit dann zurückkehrt, können erneut das Erstlinienschema erhalten, wenn sie weiterhin körperlich fit sind, die vorausgegangene krankheitsfreie Zeit über drei Jahre beträgt und keine genetischen Risikofaktoren vorliegen. Ist der Krankheitsrückfall früher aufgetreten oder bestehen genetische Risikofaktoren, so sollten alternative Therapiestrategien zum Einsatz kommen. Dazu gehören neben dem Kinasehemmer Ibrutinib auch die Kombination aus Idelalisib und Rituximab und der Kinasehemmer Venetoclax. Diese neuen Substanzen haben in großen klinischen Studien vielversprechende Wirkung gezeigt. Weniger häufig werden folgende Wirkstoffe einzeln bzw. in Kombination als Rezidiv-Therapie eingesetzt :
- CD20-Antikörper (Rituximab, Obinutuzumab, Ofatumumab) als Einzelsubstanz
- Alemtuzumab als Einzelsubstanz
- allogene Blutstammzelltransplantation
Therapiestrategien für Patienten mit Begleiterkrankungen
Ältere Patienten, deren CLL behandelt werden muss, leiden häufig an zusätzlichen Erkrankungen. Ärzte sprechen dann von einer vorliegenden Komorbidität. Oftmals werden diese Erkrankungen noch vom Körper kompensiert und führen im Alltag nicht zu Beschwerden (z.B. kompensierte Nieren- und Leberfunktionsstörung, verminderte Knochenmarkreserve). Sorgfältige Untersuchungen dieser Patienten ergeben jedoch vielfach eingeschränkte Organfunktionen. Da intensive Therapieregime mit einer erheblichen Belastung der Organsysteme verbunden sind und bei diesen Patienten zu einer fatalen Verschlechterung der Begleiterkrankungen oder zu schweren Störungen subklinisch vorgeschädigter Organe führen können, sollen Patienten mit Komorbidität und verminderter biologischer Fitness weniger intensiv behandelt werden. Die Therapie zielt bei diesen Patienten vor allem darauf ab, eine wirksame Krankheitskontrolle zu erzielen und gleichzeitig die Lebensqualität auch während der Behandlung zu erhalten. Trotz fortgeschrittenen Alters kann aber auch die Verlängerung des Überlebens ein Therapieziel sein.
Außerhalb von Studien kann in Abwesenheit von Veränderungen des TP53-Gens bei der Erstlinien-Therapie der Wirkstoff Chlorambucil in Kombination mit einem monoklonalen Antikörper eingesetzt werden. Zugelassen für diese Immunchemotherapie sind die Antikörper Rituximab, Ofatumumab und Obinutuzumab. Bei ca. 70 Prozent aller Patienten wird die CLL dadurch zurückgedrängt. Im Gegensatz zu allen anderen Zytostatika und monoklonalen Antikörpern wird Chlorambucil in Tablettenform eingenommen. Im Vergleich zur alleinigen Einnahme von Chlorambucil bewirkt die Hinzunahme eines Antikörpers eine Überlebensverlängerung. Obinutuzumab ist Rituximab hinsichtlich der Wirksamkeit überlegen, aber auch etwas nebenwirkungsreicher. Der Stellenwert von Bendamustin in Kombination mit Rituximab (BR-Schema) ist für die Erstlinienbehandlung bei diesen Patienten noch nicht abschließend untersucht. Anhand erster Daten aus einer großen klinischen Studie (CLL14-Studie) scheint die Kombination aus Venetoclax und Obinutuzumab die aktuell wirksamste Behandlung für diese Patientengruppe (unabhängig vom genetischen Risikoprofil) darzustellen; zum jetzigen Zeitpunkt (Oktober 2018) ist diese Therapie jedoch noch nicht in Deutschland zugelassen.
Ältere Patienten mit Begleiterkrankungen und Vorliegen einer 17p-Deletion bzw. TP53-Mutation erhalten eher keine Chemoimmuntherapie, sondern werden wie jüngere Patienten mit Hochrisiko-CLL mit Ibrutinib, Idelalisib oder Venetoclax behandelt.
Kommt es zu einem Rezidiv, so kommen bei älteren, komorbiden Patienten ebenfalls die Kinasehemmer Ibrutinib, Idelalisib und Venetoclax zum Einsatz. Wie bei jüngeren Patienten werden in Studien weitere noch nicht zugelassenene zielgerichete Substanzen bzw. deren Kombinationen auch bei älteren, weniger fitten Patienten untersucht.
Therapie von CLL-Sonderformen und Komplikationen
Die prognostisch ungünstige Richter-Transformation ist schwierig zu behandeln. Meist wird eine Immun-Polychemotherapie mit mehreren Zytostatika und dem Antikörper Rituximab (R-CHOP-Schema) durchgeführt. Wenn möglich, wird im Anschluss daran eine allogene Blutstammzell-Transplantation angestrebt.
Verschiedenen krankheits- und therapieassoziierte Komplikationen der CLL muss durch besondere Therapien begegnet werden. So werden zum Beispiel die autoimmunhämolytische Anämie (AIHA) und die Autoimmunthrombopenie mit Kortikosteroiden (und unter Umständen zusätzlich auch mit Rituximab) behandelt. Bei wiederkehrenden Infekten, die auf einen Mangel an Antikörpern zurückzuführen sind, können prophylaktisch und in regelmäßigen Abständen aus menschlichem Blut gewonnene Immunglobuline als Infusion verabreicht werden, der Effekt ist jedoch umstritten. Eine Prophylaxe gegen bestimmte Formen von Lungenentzündungen (Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie) und opportunistische Virusinfekte (Infektionen, die entstehen, wenn normalerweise harmlose Organismen auf ein geschwächtes Immunsystem treffen wie z.B. das Cytomegalie-Virus oder das Herpes-simplex-Virus) wird empfohlen, wenn durch die Therapie die für die Abwehr dieser Erreger wichtigen T-Lymphozyten stark beeinträchtigt wurden. Prophylaktische Gaben von Medikamenten, die das Wachstum der Granulozyten anregen, sollten sich ebenso wie die Gabe erythrozytärer Wachstumsfaktoren (Medikamente zur Anregung des Wachstums der roten Blutkörperchen) an den Richtlinien der Fachgesellschaften orientieren.